Review< Zurück 23.02.2009
Von Max Werschitz
Der weltordnungskritische Zeitgeist hat nach dem letzten James Bond nun ein zweites Mal im Mainstream-Kino Platz gefunden. Diesmal wird das Bankensystem ins Visier genommen. Der Name des neuen Rächers? Gestatten: Salinger, Louis Salinger.
Der weltordnungskritische Zeitgeist hat nach dem letzten James Bond nun ein zweites Mal im Mainstream-Kino Platz genommen. Gestatten: Salinger, Louis Salinger. In Tom Tykwers (Lola rennt, Das Parfüm etc.) deutsch-amerikanischer Koproduktion The International' macht der ebenso engagierte wie frustrierte Interpol-Agent (Clive Owen), unterstützt von der New Yorker Assistenzstaatsanwältin Eleanore Whitman (Naomi Watts), Jagd auf die Hintermänner der 'International Bank of Business and Credit' (IBBC). Diese lässt mittels illegaler Waffengeschäfte nicht nur Geld in dubiosen Kanälen, sondern per Auftragskiller auch unliebsame Leute - vor allem Salingers potentielle Zeugen - in Särgen verschwinden. Die mit Lügen und Leichen gepflasterte Spur führt Salinger von Berlin nach Mailand, zu einem Shootout im (extra für den Dreh nachgebauten) New Yorker Guggenheim-Museum und schließlich nach Istanbul, wo er mit Hilfe des scheinbar reumütigen IBBC-Handlangers Wilhelm Wexler (Armin Müller-Stahl) den Chef der IBBC selbst, Jonas Skarssen (Ulrich Thomsen), zur Rede stellt - und eine Entscheidung zu fällen hat: ist Gerechtigkeit wichtiger als das Recht?
The International ist ein handwerklich überzeugendes Hochglanzprodukt mit soliden schauspielerischen Leistungen das sich irgendwo zwischen klassischem Fernsehkrimi, ambitioniertem Polit-Thriller und - stellenweise - modernem Actionfilm bewegt. Die eigentliche Handlung ist bei näherer Betrachtung jedoch nicht besonders spannend: ohne wirkliche Überraschungen begleitet der Zuseher die Protagonisten auf einer Schnitzeljagd von A nach B, bei der "das Gute" und "das Böse" von Anfang an bekannt und der Ausgang großteils vorhersehbar ist. Die eigentliche Qualität von The International liegt jedoch darin dass der Film - ähnlich wie der letzte Bond-Streifen Quantum of Solace - so etwas wie eine schmackhafte zuckerlbunte Glasur für ein schwer verdauliches, rabenschwarz-reales Thema ist.
Dass sich private gewinnorientierte Unternehmen (und eine Bank ist nun einmal nichts anderes) in einer auf rücksichtsloser Ellbogentechnik aufgebauten kapitalistischen Welt(wirtschafts)ordnung schon mal ein ordentliches Stück aus dem Fenster von Gesetzestreue und Moralvorstellungen herauslehnen, weiß inzwischen schon jeder aus den Nachrichten. Dass gewisse Unternehmen nicht einmal davor zurückschrecken Kriege (am besten beide Seiten) mitzufinanzieren und ganze Nationen zu destabilisieren ist weniger bekannt, aber ebenfalls historisch dokumentiert. Aber The International geht in seiner Thematisierung der Systemkritik noch einen Schritt weiter: Dass nämlich der Spruch "Geld regiert die Welt" eigentlich korrekt "Schulden regieren die Welt" heißen sollte, wie in zumindest zwei inhaltlichen Schlüsselszenen des Film angesprochen wird. Wer in dieser Thematik bewandert ist (und das sind, trotz der Aufklärungsarbeit diverser kapitalismus- und globalisierungskritscher NGOs, noch viel zu wenige), weiß dass Drehbuchautor Erik Singer bzw Regisseur Tom Tykwer damit - bewusst oder unbewusst - den Finger punktgenau auf eine tiefe Wunde der heutigen Weltsituation legen.
Im Film will IBBC-Chef Skarssen unter anderem einen afrikanischen Rebellenführer mit Waffen beziehungsweise Krediten versorgen um sich durch die entstehenden Schulden die "Dankbarkeit" der dort womöglich neu entstehenden Regierung zu sichern (einen sehr ähnlichen Deal gibt es in Bond 22 durch Quantum-Bösewicht Dominic Greene). Er weiß eines ganz genau, und das wird in The International wörtlich gesagt: wer die Schulden kontrolliert, kontrolliert alles. In der realen Welt sieht es, um aus dem Buch 'Das Imperium der Schande' des UN-Sonderberichterstatters Jean Ziegler (Verlag Pantheon, 2005) zu zitieren, genau so aus: „Man braucht keine Maschinengewehre, kein Napalm, keine Panzer, um die Völker zu unterwerfen und ins Joch zu zwingen. Dafür sorgt heute ganz allein die Verschuldung.. (…) Die armen Länder zahlen den herrschenden Klassen der reichen Länder jährlich viel mehr Geld, als sie von ihnen in Gestalt von Investitionen, Kooperationskrediten, humanitärer Hilfe oder so genannter Entwicklungshilfe erhalten. Im Jahr 2005 belief sich die öffentliche Entwicklungshilfe der Industrieländer des Nordens für die 122 Länder der Dritten Welt auf 58 Milliarden Dollar. Im selben Jahr haben diese Länder der Dritten Welt den Kosmokraten der Banken des Nordens 482 Milliarden Dollar als Schuldendienst überwiesen."
Und was für Skarssen in The International diese bewußt vage formulierte "Dankbarkeit" des betroffenen Landes ist, läuft in der realen Welt wesentlich konkreter ab, wie Ziegler fortsetzt: "Die ausländischen Gläubiger (…) stellen den verschuldeten Ländern drakonische Bedingungen. Die Regierungen der Dritten Welt müssen nämlich für ihre Anleihen Zinsen bezahlen, die fünf bis siebenmal höher sind als diejenigen, die auf den Finanzmärkten üblich sind. (…) Die Kosmokraten diktieren noch weitere Bedingungen: Privatisierung und Verkauf der wenigen rentablen Unternehmen (an ebenjene Gläubiger), Bergwerke und öffentliche Dienste (Telekommunikation etc.), horrende Steuerprivilegien für die transkontinentalen Konzerne, aufgezwungene Waffenkäufe für die einheimische Armee, usw."
Da könnte man jetzt vielleicht, à la dem Marie-Antoinette zugeschriebenen Zitat "Dann lasst sie doch Kuchen essen", sagen: selber schuld, sollen sie doch keine Schulden machen? Ganz so einfach ist es nicht (Ziegler:) "Doch auch die herrschenden Klassen der Schuldnerländer profitieren massiv von der Verschuldung. Zahlreiche Regierungen der südlichen Erdhälfte vertreten auch nur die Interessen einer dünnen Schicht ihres Volkes. (…) Die ausländischen Mächte beschäftigen vor Ort lokale Direktoren und Führungskräfte, die wiederum örtliche Wirtschaftsanwälte, Journalisten usw. finanzieren und die (wenn auch diskret) die wichtigsten Generäle und Polizeichefs in ihren Diensten haben."
Der Wert des Films, auch wenn er in den Verfolgungsjagden und Kugelhageln fast untergeht, liegt für mich somit darin: schaut man genauer hin, so steht die IBBC in The International nicht nur stellvertretend für ein paar "schwarze Schafe" in der modernen Geschäftswelt. Sie ist ein filmisches Symbol für das gesamte weltumspannende System, und zwar ein reales System nicht nur aus Großkonzernen und Banken sondern ganzer Staaten, ein System in dem wir seit Jahrzehnten leben, und von dem wir reichen Länder auch seit Jahrzehnten profitieren. Bleibt nur zu hoffen dass es auch in der realen Welt ein paar Louis Salingers gibt - diese müssten dem Problem jedoch füllfeder- statt maschinenpistolenschwingend zu Leibe rücken.
Meine Wertung: |
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Filme gehören besprochen. Kinomo! Du fängst an!